Microsoft hat vor Kurzem den neuesten Teil ihrer weltberühmten Flight Simulator-Serie angekündigt. Innerhalb kürzester Zeit war der Microsoft Flight Simulator 2020 in aller Munde – nicht zuletzt wegen seines spektakulären Trailers:

Nachdem sich der Staub etwas gelegt hat und immer mehr Informationen über dieses (augenscheinlich seit fünf Jahren im Geheimen produzierte) Projekt an die Öffentlichkeit dringen, gibt es eine erste Ahnung, was MSFS2020 für das Hobby der Flug-Simulation bedeuten kann.

Was bisher geschah

Der aus dem Jahre 2006 stammende letzte Simulator aus dem Hause Microsoft war der Microsoft Flight Simulator X – ein in seiner Zeit bahnbrechendes Stück Software, dass für lange Zeit den Maßstab für private Flug-Simulation gesetzt hatte.

Die Jahre gingen ins Land, und der FSX verstaubte mehr und mehr: Die Grafik, das Flugmodell, alleine der Nachschub an Patches – all dies machte FSX trotz einer treuen Fangemeinde langsam überholt. Alle warteten auf einen Nachfolger.

2012 erschien das Flugspiel Microsoft Flight. Die Annahme, dass es eine Fortsetzung des FSX sein würde, wurden enttäuscht. Stattdessen handelte es sich um ein vereinfachtes Spiel, dass Simulationsfreunde nicht zufrieden stellen konnte.

Als weitere Signale schloss Microsoft 2009 das für den FSX verantwortliche Studio, und lizensierte die Engine an andere Unternehmen, die mehr oder weniger würdige Nachfolger für den Flight Simulator produzierten. Keines dieser Produkte konnte aber bahnbrechende Erfolge feiern.

Simulationsfreunden wurde klar, dass von Microsoft nichts mehr zu erwarten sein würde. So zog die Herde weiter, unter anderem zu X-Plane 11, oder schwelgte mit Prepar3d in Nostalgie.

Götterdämmerung

Das alles änderte sich schlagartig mit den ersten Trailern für den Microsoft Flight Simulator 2020, die für alle überraschend nicht nur einen bereits sehr fertig wirkenden Simulator zeigte.

Die Trailer zeigten ein Flugerlebnis, das vor allen Dingen außerhalb der Simulations-Gemeinde Interesse an MSFS2020 weckte. In persönlichen Gesprächen mit Gamern zeigte sich, dass Microsoft einen Nerv getroffen hatte: Auch Spieler ohne Vorerfahrung mit Flugsimulatoren interessierten sich auf einmal brennend für den MSFS2020. Die ansprechende Grafik und die einsteigerfreundliche Präsentation machten Lust auf mehr.

Und die alten Simulationshasen? Immer, wenn der Hype-Train durch den Ort brauste, saßen sie erstmal gemütlich auf der Veranda und beobachteten das Spektakel skeptisch vom Rand aus. So auch diesmal: Viele hatten Microsoft ihre vorherigen Fehler in Bezug auf Flugsimulatoren nie verziehen.

Direkt auf die Überholspur

Microsoft war von vorne herein bewusst, dass ihr Verhalten der Vergangenheit viel Porzellan zerschlagen und bei Simulations-Enthusiasten Skepsis und Misstrauen hinterlassen hatte. Schon früh hatte Microsoft deswegen den Austausch mit der Community gestartet, und ein offenes Ohr für Ideen und Wünsche gezeigt. Doch alleine damit ließen sich nicht alle Zweifel zerstreuen – Fakten mussten her.

In einem PR-Meisterstreich lud Microsoft darauf hin ausgesuchte Simfluencer, Flug-Blogger sowie Fachpresse zu einem Event ein, bei der sie nicht nur das frühe Produkt selber ausprobieren konnten, sondern auch mit den Entwicklern des Microsoft Flight Simulator 2020 direkt ins Gespräch kommen konnten.

Ob es in dem Youtube-Video von FlightChops, dem Youtube-Video von Frooglesim oder dem Artikel auf Helisimmer.com ist: Alle Simfluencer konnten nicht verbergen, dass Microsoft ihre Skepsis in Begeisterung und Vorfreude verwandelt hatte.

Die Situation heute

Da die ersten Erfahrungen mit dem MSFS2020 vorliegen, verdichtet sich ein Bild.

  • Der Microsoft Flight Simulator 2020 hat sowohl Neueinsteiger als auch Veteranen als Zielgruppe.
  • Grafisch wird der Simulator alles bisher dagewesene in den Schatten stellen – zumal der Simulator für die gesamte Welt hochauflösendes Material mit Vegetation und Bebauung anbieten wird.
  • Das Flugmodell wird ebenfalls seinesgleichen suchen. Sowohl in Berichten als auch in Videos ist zu sehen, wie diffizil Fluggeräte reagieren.
  • Auch beim Wettermodell ist eine Detailtiefe zu sehen, die bisherige Simulatoren alt aussehen lässt.
  • Inwiefern Online-Spiel, Air Traffic Control und andere Prozeduren von vorne herein integriert sind, ist offen. Es ist aber erkennbar, dass auch hier der MSFS2020 nicht kleckern, sondern klotzen wird.
  • Über den Bereich Performance (gerade für Virtual Reality) ist noch nicht viel bekannt – hier besteht schon der Verdacht, dass für bahnbrechende Bilder bahnbrechende Hardware benötigt wird. Für Simulationsfreunde ist aber die Verwendung von High-End-Hardware kein Novum.
  • Es steht zu erwarten, dass die Palette an Fluggeräten schon nach kurzer Zeit sich rapide füllen wird, da etliche Drittanbieter bereits mit der Produktion neuer Fluggeräte für den MSFS2020 begonnen haben.
  • Nicht zuletzt wird aufgrund der anvisierten Zielgruppe wahrscheinlich das bisher im Simulatorgewerbe übliche Zusammenbasteln des Simulators ein Ende haben. Während heutige Simulatoren aus einzelnen Softwarekomponenten zusammengesetzt werden müssen, die auf unterschiedlichen Bezugswegen und mit beliebig komplexen Installationsmechanismen daher kommen, wird Microsoft wahrscheinlich bei Erwerb wie Installation einen integrierten Katalog anbieten, ähnlich wie Steam oder Origin.

Alles in allem scheint der Microsoft Flight Simulator 2020 aller Voraussicht nach einen neuen Standard für den Bereich der Heim-Flugsimulatoren setzen zu können.

Wie geht's weiter mit den anderen Flugsimulatoren?

Der MSFS2020 bedeutet für etablierten Flugsimulatoren eine ernsthafte Konkurrenz. Gerade die Simulatoren, die ebenfalls die hochgradig realistische Zivil-Fliegerei abbilden, müssen sich sehr warm anziehen:

  • Für X-Plane 11 wird in den ersten Jahren das große Angebot von Fluggeräten gegenüber MSFS2020 noch einen Vorteil darstellen. Aber sowohl in der Darstellung der Szenerie als auch beim Wettermodell scheint der Neuankömmling dem guten alten X-Plane 11 überlegen zu sein. In Sachen Performance scheinen beide Simulatoren gleich hungrig zu sein – der MSFS2020 scheint aber mit der Hardware ein deutlich beeindruckenderes Erlebnis zu zaubern.
  • Noch schlimmer sieht es für Prepar3d aus: Die angestaubte Engine wird augenscheinlich gegen den MSFS2020 keine Chance haben. Einzig die breite Palette an Fluggeräten kann anfangs noch helfen – aber alleine bei dem Angebot an Szenerien wie auch bei dem Flugmodell wird die Luft sehr schnell sehr dünn.

Eine Chance haben dagegen Simulations-Projekte, die leicht außerhalb des Fokus liegen – wenn sie ihre Karten gut spielen:

  • Der Digital Combat Simulator muss sich keine Sorgen machen: Obwohl sein Angebot an Szenerien geradezu winzig ist, ist die Konzentration auf kontemporäre Kampfflugzeuge bzw. -hubschrauber ein Feld, dass augenscheinlich nicht von MSFS2020 besetzt werden wird.
  • Auch die Serie Il-2 Sturmovik: Great Battles ist mit seiner Auswahl an Kampfflugzeugen des Ersten und Zweiten Weltkriegs und der Konzentration auf die historische Fliegerei dieser Epoche von MSFS2020 nicht bedroht.
  • Der Aerofly FS2 ist im VR-Bereich bzw. auf kleiner Hardware grafisch ungeschlagen. Zwar verfügt der Simulator bis heute über kein realistisches Wetter, globale Szenerie-Abdeckung, Air Traffic Control, eine lebende Umwelt oder Online-Modus. Aber durch die Konzentration auf das Flugmodell, Performance und Einsteigerfreundlichkeit könnte Aerofly FS2 auch mittelfristig seine Bedeutung im Heim-Simulations-Markt behalten.
  • Das bis heute nicht veröffentlichte Deadstick von REMEX Software dagegen könnte die Konzentration auf eine lebende Umwelt und ein Meta-Spiel die Zukunft sichern. Gerade dass Meta-Spiel, das der Fliegerei einen Sinn gibt, und das kleine, heimatgefühlinduzierende Fluggebiet könnte eine langfristige Fan-Gemeinde aufbauen. Wenn Deadstick denn jemals erscheinen sollte.

Für alle Simulatoren kann ein Weg sein, die Power des Internets zu nutzen:

  • Die Kooperation mit einem Flug-/Satelliten-Bild-Anbieter, zusammen mit der Verwendung von Open Street Maps und einer Technologie zur Erzeugung von dreidimensionaler Vegetation und Bebauung, kann global die Abdeckung wie auch die Präsentation stark verbessern.
  • Scheinbar unbelebte Umwelt können über Schnittstellen mit echten Wetterdaten, echten Flugverkehrsdaten und z.B. auch echten Schiffsbewegungen dynamischer erscheinen. Fahrzeuge dagegen können auf den durch Open Street Maps bekannten Straßen animiert werden.
  • Simulatoren müssen selber offene, gut dokumentierte, stabile Schnittstellen anbieten, die dritten Parteien (z.B. auch Community-Entwicklern) die Erweiterung des Simulators erlauben.
  • Darüber hinaus muss Nutzerfreundlichkeit mehr in den Fokus rücken; nicht nur innerhalb des eigentlichen Simulators, sondern auch bei der Installation und Aktualisierung von zusätzlichen Add-Ons und Plugins.

Wie die einzelnen Simulatoren sich entwickeln hängt aber neben dem Produkt und dem Verhalten des Herstellers nicht zuletzt von der jeweiligen Community ab – ein schwer einzuschätzender Faktor. Schon bei FSX konnte man beobachten, dass ein technisch und funktional schon lange abgehängtes Produkt immer noch erfolgreich sein kann.

Fazit

Alles in allem wird 2020 ein spannendes Jahr für die Flugsimulationsgemeinde – sei es für die Hersteller, sei es für die Schreibtisch-Flieger. Auf jeden Fall wird der MSFS2020 neue Impulse setzen, und das Hobby der virtuellen Fliegerei schlagartig einem vollkommen neuen Kreis von Nutzern eröffnen.

Auch Simulationsfreunde, die nicht auf MSFS2020 setzen werden, werden seine Auswirkungen früher oder später auch in ihrem Lieblings-Simulator erleben.


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